Ich und die Stadt
Ich bin ein Stadtmensch. Das ist ganz klar eine Prägung, wenn man in Berlin geboren ist, einer Stadt, die von einer Mauer umgeben war und in der es Umland nicht gab. Jedenfalls nicht, um dort Erholung zu suchen oder „mal rauszufahren“. Wenn ich an meine ideale Schreibumgebung denke, dann ist das auch nicht unbedingt „auf dem Land“. Daher war mein Schreibstipendium im Frühjahr dieses Jahres in Wiepersdorf eine echte Challenge: Komme ich ohne Stadt aus? Halte ich es auf dem Land aus? Als Konfrontationstherapie habe ich mir jeden Tag eine kleine Radtour verordnet. Begegnung mit der Natur.
Gegenwind
Im März hieß das erstmal Bekanntschaft mit dem Gegenwind zu machen. Ins nächste Dorf, kein Problem, zurück … schon eher. Ich kämpfe mich durch. Die Augen auf den Horizont gerichtet, stelle ich fest: aha, es gibt ihn, er existiert also wirklich. Und auch wenn er vom Rad aus manchmal das Gleichgewicht verliert – Ich mag ihn!
Horizont
Er beruhigt mich, ein Ende in Sicht – immer. Wie angenehm. Ein Fixpunkt für die Augen, ein Ziel. Und Ruhe, natürlich. Das hilft beim Arbeiten und ich stelle fest, ich schreibe hier mehr als zuhause. Nicht nur, weil ich sonst eigentlich nicht viel zu tun habe, sondern weil ich hier besser den Überblick behalte … es steht weniger im Weg.
Veränderung
Weitere Beobachtung: Hey, hier sieht es ja jeden Tag anders aus! Die Felder, erst braun, dann sanftgrün, dann sattgrün. Ihr könnt jetzt lachen, aber für mich ist das alles neu. Ich kenne das nicht. In der Stadt gibt es natürlich auch Veränderungen, logisch. Der Bubble Tea-Laden an der Ecke hat dicht gemacht – wusste ich es doch. Ein neuer Biosupermarkt hat eröffnet, wie schön, ein neues Plakat kündigt einen neuen Blockbuster an. Doch vieles bleibt … unübersichtlich.
Hier bringt die Natur die Veränderung. Jeden Tag wieder. Wie schnell wachsen eigentlich Pflanzen? Man kann dabei zusehen! Zwischen März und Juni werden aus Felder, die erst nur braune Erde sind, grüne Flächen und schließlich wächst dort grüner Raps oder gelbes Korn.
Bunte Bumen stehen am Rand der Felder. Weil das gut für das Gleichgewicht der Natur ist, wird mir erzählt. Und für die Bienen und Insekten, eben für alle, die hier ganz unbemerkt auch noch wohnen.
Balance
Die Sache, das ich immer wieder verliere in der Stadt und auch hier nicht so einfach halten kann. Zwischen Ein- und Ausatmen, zwischen Arbeit und Ruhe, zwischen Entspannung, Natur und dem, was die Menschen damit, daraus machen. Der Horizont ist meine Wasserwaage, pendelt mich aus.
Ich pflücke mir einen Blumenstrauß für mein Zimmer. Rote Mohnblumen, blaue Kornblumen, weiße Margeriten, gelbe Blumen, deren Namen ich nicht kenne. Zum Grün-Braun der Felder und dem Blau des Himmels sind die Farben der Blumen gekommen. Erst die Struktur finden, dann die Farbakzente setzen, die Stimmung beschreiben. Die Natur kann das, weiß das besser, jedes Jahr wieder, das schau ich mir ab und finde auch meinen Rhythmus im Schreiben. Das Gleichgewicht, die Balance, jeden Tag wieder und werde tatsächlich ein Fan, der … Landschaft, der Ruhe hier. Yeah!
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