Ruhe

Ruhe: Interview mit Cranio Sacral Therapeutin Jule

9. Dezember 2018

Wie ihr wisst, bin ich die ‚Patin‘ der Rubrik Ruhe. Bei Ruhe geht es um Selfcare, Spiritualität, Achtsamkeit. Und je mehr ich mich mit dem Thema auseinandersetze, desto mehr Leute treffe ich, die darüber was zu sagen haben. Wie Jule. Ich durfte Jule kennenlernen und es war Liebe auf den ersten Blick. Sie ist nicht nur ein unglaublich beeindruckender Mensch, sie ist auch angehende Cranio Sacral Therapeutin. Deswegen haben wir uns über Cranio Sacral, Körper und Geist, Faszien und die Magie des Stillpunktes unterhalten.

Hey du,

Naaaaa…

Ich dachte wir fangen mal bei den Basics an: Was ist Cranio Sacral Therapie?

Cranio Sacral ist Körpertherapie und ein Teil der Osteopathie.

Man geht davon aus, dass alles, was man erlebt – sei es physisch oder psychisch – im Körper gespeichert wird.

Der Körper ist den ganzen Tag dabei, sich selber zu regulieren und Ausgleich zu schaffen. Doch manchmal entstehen Blockaden im Körper, ausgelöst durch Unfälle, jahrelange Fehlstellungen oder psychische Traumata und wenn das “Fass” voll ist, kann der Körper nicht mehr regulieren oder kompensieren und es entstehen Schmerzen und körperliche Einschränkungen. Das Problem liegt öfter schon viel früher vor, aber meist spüren wir das nicht oder nehmen die Zeichen des Körpers nicht wahr oder erst wenn es klare physiologische Einschränkungen gibt. Im Cranio lädt man den Körper dazu ein, in intensive Stillpunkte zu gehen, in denen der Organismus heilt und begleitet ihn so in eine Regulation. Bei Cranio wird in der Knochen- und Muskelebene, Faszien-, Nervalen- oder auch in der Arteriellenebene gearbeitet. Es gibt Behandlungen, die gehen total in die Tiefe, bei denen vergangene Traumata hochgeholt werden, wieder andere laufen eher strukturell ab und verringern Schmerzen oder Einschränkungen und begleiten einen Patienten einfach bei einem Heilungsprozess.

Du hast mir mal davon erzählt das jeder Mensch einen Cranio Rhythmus hat?!

Genau. Jeder Mensch hat einen – stärker oder schwächer ausgeprägt. Wenn eine Verletzung oder ein Trauma vorliegen, ist es meistens so, dass die “verletzte” Seite sozusagen nicht mehr so gesund und gleichmäßig schwingt wie die andere. Durch das Spüren des Craniorhythmus und eventuelle Einschränkungen auf der einen oder anderen Seite, ist es als Therapeut eine wunderschöne Orientierung und somit harmonisiert man während der Behandlung die rhythmischen Bewegungen verschiedener Körperebenen.

Es gibt verschiedene Rhythmen im Körper, ein wichtiger Moment im Heilungsprozess ist der “Still Point”. Das ist der Moment, wo die Rhythmen in eine “Ruhephase” gehen, die Zeit einen Moment still zu stehen scheint. Je nachdem wie sich die Stille anfühlt (ob angespannt oder ruhig), kann man ablesen, in welchem Prozess sich der Organismus gerade befindet. Meistens lädt man als Therapeut zu einem Still Point ein, da man davon ausgeht, dass dies der Moment ist, wo der Körper am besten heilt. Es ist fast wie bei einem PC, den man neu startet oder sogar defragmentiert: Der Körper startet nochmal neu und kann alles in eine besser funktionierende Ordnung bringen.

Und wie bist du zu Cranio Sacral gekommen?

Ich bin nach Berlin gezogen, um Kunst zu studieren, habe aber ziemlich schnell gemerkt, dass es mich eher in den sozialen Bereich zieht. Schon in meiner Kindheit hab ich immer automatisch die Helferrollen eingenommen. Da musste ich erst mal lernen, was gesund helfen ist und was nicht. Dann habe ich durch Zufall einen Freund von meinem Vater wieder getroffen, der Osteopath ist. Und der hat mir dann geraten, Osteopathie zu machen. Das hat sofort klick gemacht, obwohl ich von alleine niemals auf Medizin gekommen wäre. Mir wurde von außen immer gespiegelt, dass ich in das System nicht wirklich reinpasse, da ich eher ein kreativer Chaot bin und öfter die Schule gewechselt habe. Also habe ich einfach aus dem Blauen heraus angefangen, Osteopathie zu studieren. Ich hab das ein dreiviertel Jahr lang studiert und war total überfordert. Ich war zu der Zeit psychisch total labil und war nicht richtig in der Lage, den Stoff aufzunehmen. Cranio ist einer der drei Teile der Osteopathie und hat einen biodynamischen Ansatz. Ich habe mich sofort in das Fach verliebt. Während meiner eigenen Cranio-Behandlung sind unglaubliche viele Traumata hochgekommen. Ich dachte: ‚Woah, ich komme durch Körpertherapie an etwas, was für mich vorher eine schwarze Box, nicht greifbar war. Und wo ich niemals gedacht hätte, dass man da irgendwie drankommen kann‘. Fragen, die ich bei dem Osteopathie-Studium offenblieben, wurden mir in der Cranio-Ausbildung beantwortet. Und ja, dann hab ich abgebrochen angefangen mich auf Cranio Sacral Therapie zu spezialisieren. Dazu mache ich gerade noch einen Heilpraktiker, ohne den man in Deutschland nicht praktizieren darf.

Was ist wichtig für einen Cranio Therapeuten? Worauf muss man achten?

Cranio hat sehr viel mit Menschen lesen zu tun. Du nimmst den Menschen, sobald er durch die Tür reinkommt, als Ganzes wahr. Wie wirst du begrüßt? Hat er oder sie Schiefstellungen, z.B. hängende Schulter, ein lahmendes Bein? Was für ein Vibe kommt dir entgegen? Guckt dir die Person in die Augen oder nicht? Man muss sehr individuell auf die Leute eingehen, manche sind sehr körperbewusst, manche eher rationaler. Da muss man schon für jeden individuell den richtigen Ton finden, um die Leute auf ihrem Stand abholen zu können und verständlich zu sein.

Ich glaube, das ist auch das, was mich an dieser Arbeit so fasziniert: Man hat Zeit, sich wirklich auf sein Gegenüber einzulassen, um eventuell vergangene Operationen, Traumata und Co aufzudecken. So etwas würde man eventuell übersehen, wenn man Menschen in einem 10- bis 20-minütlichen Akkord abarbeiten muss. Da können die Ärzte ja nichts für, das ist das Gesundheitssystem. Schade, dass man erst zu alternativen Ärzten gehen muss, um als Patient wirklich wahrgenommen werden zu können.

Bei Cranio finde ich die Grundhaltung auch faszinierend, auf Augenhöhe und mit keiner Absicht in die Behandlung zu gehen. Es ist fast, als wäre der Therapeut der Patient. Meine Dozentin sagt immer “écoute” – hör zu – egal, ob mit den Ohren oder in der Behandlung mit den Händen. Wenn du als Therapeut richtig gut bist, kannst du den Menschen in dem Prozess begleiten, wo auch immer er hinführt. Und dann kommt es auf deine innere Haltung an. Ich nenne es immer den Buddha-Zustand, da bist du ganz offen, in dir ruhend.

Und hast du da einen bestimmten Ablauf, wie du dich in diese Ruhe bringst?

Ja, das waren einige der ersten Dinge, die uns in Cranio beigebracht wurden. Die innere Haltung ist mit das Wichtigste, um bei sich anzukommen und sich in sich selber gut zu verankern. Je besser du das hinbekommst, umso besser kannst du einen sicheren Ort für den Patienten schaffen. Ich bin oft auch sehr dankbar, dass ich in meinem Leben schon sehr schmerzhafte psychische Grenzerfahrungen gemacht habe. Alleine mit dieser Erfahrung kann ich Leute durch – egal was sie gehen – begleiten. Es sind nicht nur leere Worte zu sagen: “Ich weiß wie du dich fühlst.” Ich bin durch Vieles selber sehr jung durchgegangen und kann Menschen fühlen lassen, hier bist du sicher. Es gibt auch viele Verankerungstechniken wie zum Beispiel der “innere sichere Ort”, der einem ebenfalls in der Psychotherapie begegnet. Hierbei kannst du dir irgendeinen Bereich im Körper aussuchen. Je mehr du diesen inneren sicheren Ort ausschmückst und besuchst, desto mehr Sicherheit gibt er dir. Wenn du einen inneren sicheren Ort als Therapeut präsent hast, bekommen die Patienten dies bewusst oder unterbewusst mit. Das gibt ihnen Sicherheit. Auch dem Therapeuten kann es nützen, sich während einer sehr anspruchsvollen Behandlung mal zu “schützen” oder zurückzuziehen. Ich möchte die Traumata ja nicht aufnehmen, sondern nur mitgeschehen lassen.

Und nach der Behandlung? Hast du da auch ein Ritual, um dich wieder zu cleansen?

Ich habe mir angewöhnt, nach der Behandlung die Person noch zehn Minuten liegen zu lassen, damit sie erst mal ankommen kann. Da geh ich immer raus und wasch mir die Hände und die Arme. Ich war ja im Kontakt mit der Person und da kommt ne Walze in Bewegung. Aber ich kann nicht immer alles ableiten und manchmal ist die Verbindung mit einem Menschen so tief, dass sich meine Hände danach kribbelig oder verkrampft anfühlen. Da ist es sehr wichtig, wieder bei sich anzukommen und die Dinge, die sich eventuell an mir “anhaften” wollen – potentieller Schmerz -, wieder gehen zu lassen.

Für wen ist Cranio Sacral geeignet?

Puh. Das ist auch sehr individuell. Es kann für Leute sein, die nirgendwo anders eine Lösung gefunden haben. Oder für Leute, die neben der Reha begleitet werden wollen. Oder für diejenigen, die sich und ihren Körper besser verstehen und Stress reduzieren wollen. Ich hatte einige Patienten, die von Arzt zu Arzt gerannt sind und es wurde vermeintlich “nichts gefunden”. Eine, wie ich finde, schwierige Diagnose, wenn da doch noch Schmerzen vorliegen. Überraschend oft sind es die Faszien, deren Verklebung sehr, sehr schmerzhaft sein kann. Faszien befinden sich überall im Körper. Sie spannen sich um Muskelfasern, einzelne Muskeln und Muskelgruppen und sogar das Gehirn. Sie reagieren auf Stresshormone und dieses unglaublich feine, spinnenartige Gewebe verklebt und verklumpt dann. Die Faszien engen dann Muskeln ein oder klemmen Nerven ab. Die Folge sind beispielsweise Rücken- und Nackenschmerzen oder Migräne.

Ebenfalls würde ich Cranio bei Sportverletzungen, Menstruationsbeschwerden, Stoffwechselstörungen, Psychischen Traumata oder Schlafstörungen empfehlen.

In unserer Gesellschaft gibt es ja trotzdem noch eine weit verbreitete Scheu vor alternativen Heilmethoden, Menschen die sagen, dass das alles Schwachsinn ist …

Klar, die gibt es immer. Selbst ich habe bis heute manchmal Zweifel, da ich auch in dem Glauben großgeworden bin, man müsste immer etwas wegschneiden, richten oder schwere Eingriffe tätigen, um Erfolge zu sehen. Aber jedes Mal, wenn ich selber gestruggelt habe, hatte ich wieder eine Behandlung, bei der ich durch minimale Impulse etwas in jemanden verändern konnte. Das hat mir den Glauben zurückgegeben. Der Körper hat eine unglaubliche Power und einen Selbstheilungssinn. Er braucht nur manchmal einen kleinen Anschub. Einmal behandelte ich eine Frau, die jahrelang Schmerztabletten nehmen musste. Während der Behandlung haben wir gemerkt, dass der Dünndarm verklebt war, welches wir dann Stück für Stück lockern konnten. Zeitgleich wurde sie unheimlich traurig und alte Kindheitstraumata kamen hoch. Der Darmbereich steht auch für unsere emotionalen Erlebnisse und wird hier und da das “Bauchhirn” genannt. Eine Woche später rief sie mich an, dass sie seit der Behandlung schmerzfrei wäre und somit auf die täglichen Schmerztabletten verzichten konnte. Das macht einen einfach ehrfürchtig und deswegen bin ich drangeblieben. Klar, es können immer mal wieder Zweifel hochkommen, man hat nie die eine Lösung, aber ich glaube, es gehört zu dem gesunden Verstand eines Therapeuten/Arztes, sich immer wieder selbst anzuzweifeln. Es gibt Krankheiten, die haben wir noch nicht verstanden und deswegen ist es wichtig, dass man immer eine offene Grundhaltung behält, von wegen ich kann besten Wissen und Gewissens handeln, aber ich weiß nicht alles. Mein Papa sagt immer „Wer heilt, hat Recht“. Wenn also eine Person aus der Behandlung mit einer höheren Lebensqualität geht, sei es, weil Traumata und/oder Schmerzen losgelassen wurden, dann ist es egal auf welchem Weg sie dahin gekommen ist. Das macht mich einfach unglaublich glücklich und ist Grund genug weiterzumachen.

Inwiefern hat Cranio dein Leben beeinflusst?

Es ist enorm, mein Leben hat sich um 180 Grad gewendet. Cranio wird automatisch zu einer Lebenseinstellung. Sobald ich gestresst bin, sobald ich Schmerz fühle, fühle ich in mich rein, integriere den Schmerz und kann ihn somit meist gehen lassen. Ich verstehe mich und im Umkehrschluss die Welt besser, seitdem ich das mache. Denn wir sind alle Menschen und natürlich haben wir alle einen anderen Background, aber wir alle haben einen Körper, alle einen Lebens-Spirit, wir haben alle auf irgendeine Art und Weise schon mal Schmerz und Freude erlebt. Ich hab‘ das Gefühl, dass die Menschen bereit sind und richtig Bock haben, sich zu verstehen. Die meisten mit denen ich rede, sind super offen und super begeistert, wenn sie begreifen: ‚Boah, krass, ich darf mich endlich verstehen, ich darf den Schmerz verstehen‘.  So viele Leute streben danach, gesehen, gehört und wahrgenommen zu werden. Ich glaube, das führt auch zu einem Heilungserfolg, dass du jemanden wahrnimmst, ihm auf Augenhöhe begegnest und sagst: ‚Hey wir sind ein Team und wir kriegen das irgendwie hin. Du bist nicht alleine.‘ Wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, was gut geht und positiv an uns ist, um das vermeintlich “Negative” besser akzeptieren, anschauen und integrieren zu können.

Gedanken haben eine unheimlich starke Kraft und Anziehung, deswegen ist es immer wichtig, sich bewusst zu machen, was man tagtäglich denkt und ob man sich nicht mit Stress und Gedanken selbst geißelt. Ich glaube, diese Therapieform ist eine wunderschöne Arbeit, sich seiner selbst mehr bewusst zu werden und sich mit allen Facetten mehr zu lieben und zu akzeptieren.

Ich kann nur für mich sagen, dass es mir unglaublich viel Ruhe und Selbstvertrauen in mein Leben gebracht hat, und ich hoffe ich kann dem ein oder anderem ein bisschen mitgeben.

 

Jule gibt Cranio Sacral Behandlungen in Berlin. 

Bei Interesse einfach auf Facebook schreiben :) 

 

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